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Das archetypische Traumsymbol Schatten wird zumeist als etwas Negatives angesehen. Dabei wird häufig vergessen, dass ein Schatten nicht nur etwas ist, das sprichwörtlich über einem liegt oder das man nicht abschütteln kann. Schatten hat auch eine Schutzfunktion, denn wenn Gefahr im Vollzug ist, bietet er ein sicheres Versteck.
In Kürze zu: Archetyp Schatten |
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Im Schatten zeigen sich während des Traums für gewöhnlich Charaktereigenschaften, die der Träumende zwar hat, die jedoch nicht in dessen Selbstbild passen. Das Unterbewusstsein konfrontiert ihn in symbolischer Form mit Eigenschaften, die er bei anderen ablehnt und die er selbst nicht an den Tag legen möchte. Ebenso kann es sein, dass er sich andere persönliche Eigenschaften wünscht. Der Schatten kann hier durchaus sehr positiv sein, denn er kann den Träumenden darauf aufmerksam machen, dass er die gewünschten Charakterzüge in sich trägt, diese allerdings schlichtweg noch nicht erkannt hat oder nicht an den Tag legt.
Es ist durchaus legitim zu sagen, dass Schattenträume ein bestimmtes Ziel verfolgen. Sie sind vom Unterbewusstsein stärker gesteuert als die meisten anderen Träume und Traumsymbole, da sie dem kollektiven Unterbewusstsein entspringen. Im kollektiven Unterbewusstsein befindet sich die tatsächliche und vollständige Persönlichkeit des Menschen, die frei ist von Unterdrückung oder Verurteilung spezifischer Eigenschaften durch gesellschaftliche Normen und Moralvorstellungen.
Werden zu viele Charaktereigenschaften unterdrückt, gelangt die Seele in einen Zustand des Ungleichgewichts. Die Gesamtheit des Seins wird immer mehr zerstört. Schattenträume machen den Träumenden genau darauf aufmerksam. Vielleicht kann man sogar sagen, dass sie eine Art Hilfeschrei sind, auf den man hören sollte, um in der realen Welt mit sich selbst in Einklang zu kommen.
Funktion von Schattenträumen
Schattenträumen werden in der Psychologie und in der Traumforschung ähnliche Funktionen zugeschrieben. Gemäß der Arbeit von Carl Gustav Jung ist es auch heute noch die vorherrschende Ansicht, dass der Schatten als archetypisches Traumsymbol für das kollektive Unbewusste oder die ganzheitliche Persönlichkeit steht.
Jeder Mensch besitzt unterschiedliche Charaktereigenschaften, mit denen er geboren wird. Dies wird als das kollektive Unbewusste bezeichnet. Im Laufe des Heranwachsens wird in dieses Kollektiv eingegriffen, und so wird der Charakter der Person geformt. Der Charakter eines Erwachsenen hat sich seit der Geburt aufgrund vieler Faktoren verändert. Geistige Konstrukte wie Moral oder Wertvorstellungen werden ihm von Geburt an vermittelt und beeinflussen die Ausprägung einzelner Charakterzüge, indem manche gefördert und andere unterdrückt werden.
So entwickelt sich mit der Zeit ein Selbstbild, das der Mensch von sich hat und das von vielen Zwängen geprägt ist. Der Mensch glaubt, genau so zu sein, wie er ist, und auch so sein zu müssen. Dieses Selbstbild hat allerdings nur bedingt mit dem wahren Selbst zu tun. Ein häufig zitiertes Beispiel ist die Neigung zu Aggression, Wut oder Hass. Jeder Mensch trägt die Fähigkeiten dazu in sich, in variierender Intensität. Diese Eigenschaften werden in der Erziehung häufig unterdrückt, es wird gelehrt, dass es schlecht ist, so zu empfinden und noch schlimmer, es nach außen zu zeigen.
Das führt dazu, dass man eine negative Einstellung zu diesen Eigenschaften entwickelt. In der Regel handelt es sich dabei um Charakterzüge, die man vor allem bei anderen Personen ablehnt. Betrachtet man das Bild von sich selbst und analysiert, welche eigenen Eigenschaften zu Verständigungsproblemen mit anderen führen, und verknüpft sie mit Eigenschaften, die man an anderen nicht ausstehen kann, stellt sich schnell heraus, dass es oft die gleichen Eigenschaften sind. Fragt man vertraute Personen, ob sie die eruierten Persönlichkeitsanteile bei einem selbst beobachten können, wird die Frage häufig bejaht.
Der Grund dafür liegt im Einfluss des Bewusstseins, das missliebige Charakterzüge bei sich selbst ausblendet und auf andere projiziert. Das bedeutet im Klartext, dass das, was man an sich selbst nicht leiden kann, auch bei anderen nicht mag. Man hat unbewusst Angst davor, dass die unliebsamen Eigenschaften auch bei einem selbst zum Vorschein kommen.
Während des Traums ist das Bewusstsein sozusagen inaktiv. Schattenträume haben ihren Ursprung im kollektiven Unbewussten, also in dem Teil der Persönlichkeit, der ursprünglich da war und den später geformten Kern des Selbst bildet. Es ist frei von äußeren Einflüssen, auch von denen des Bewusstseins. An dieser Stelle entsteht das, was man den Schatten nennt. Die geformte Persönlichkeit ist nur ein Teil der ursprünglichen, die ihr wie ein Schatten anhaftet. Die unterdrückten Teile liegen im Dunkeln. Man kann sie nicht loswerden.
In der Forschung herrscht weitestgehend Einigkeit darüber, dass der Mensch nach einer bestimmten Art der Vollkommenheit strebt. Der ideale Mensch ist, wenn man das reine Menschsein betrachtet, ausgeglichen und mit sich im Reinen. Er ist zufrieden mit sich selbst und seiner Umwelt. Um dies zu erreichen, muss er mit seiner Seele im Einklang sein. Das bedeutet auch, unliebsame Eigenschaften zu akzeptieren und zu verstehen.
Abgetrennt vom Bewusstsein melden sich in Schattenträumen die Aspekte zu Wort, die im wahrsten Sinne des Wortes zu kurz kommen. Es sind Charaktereigenschaften, die keine Beachtung finden oder denen der bewusste Mensch mit Verachtung und Ablehnung gegenübersteht. Während des Traums haben sie die Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen und dadurch zu zeigen, dass es sie gibt und dass sie fester Bestandteil der Persönlichkeit sind. Damit sie auch gehört werden, äußern sie sich häufig in einer ziemlich radikalen Form, also in übertriebenen Darstellungen ihrer selbst.
Schattenträume haben letztendlich die Funktion, das Ungleichgewicht zwischen der natürlichen und der anerzogenen Persönlichkeit aufzuzeigen. Sie sollten als Hinweis darauf verstanden werden, wer man wirklich ist. Die Beschäftigung mit Schattenträumen sorgt nach und nach dafür, dass man sich selbst besser kennenlernen und akzeptieren kann. Man muss eventuelle Aggression nicht in seinen Alltag integrieren, wenn man es nicht möchte. Es ist bereits ausreichend, diesen Aspekt zu akzeptieren und sich damit abzufinden, dass es eben ein gewisses Aggressionspotenzial gibt, das Teil der eigenen Persönlichkeit ist. Das kann durchaus dazu führen, mehr Gelassenheit und positive Energie zu entwickeln, da die Energie, die man vor der Erkenntnis aufgewendet hat, um die unliebsamen Charakterzüge zu unterdrücken, nun für andere Dinge zur Verfügung steht.
Erscheinungsformen von Schattenträumen
Schattenträume zeichnen sich nicht immer durch eine intensive Darstellung von Schatten im traditionellen Sinn aus. Schatten, als immaterielle Erscheinungen, können sich auch in der Umgebung des Traums widerspiegeln. Der Schatten des kollektiven Unterbewusstseins bezieht sich stets auf die Persönlichkeit. Da er unterschiedlichste Gestalten annehmen kann, ist es oft nicht einfach, einen Schattentraum als solchen zu identifizieren.
Schatten als Personen und andere Gestalten
Persönliche Schatten können im Traum die Gestalt verschiedener Personen oder Wesen annehmen. Meistens ist ein Schattenwesen in einem Schattentraum jemand des gleichen Geschlechts (Siehe auch: Animus, Anima). Die Erscheinungsform des Schattens gibt deutliche Hinweise darauf, welche Persönlichkeitsanteile sich bemerkbar machen wollen. Häufig wird der Schatten als reale Person dargestellt.
In Schattenträumen zeigen sich unerwünschte Charakterzüge. Diese Eigenschaften, die im Unterbewusstsein existieren, aber vom Bewusstsein ignoriert werden, werden im Traum auf eine fremde Person projiziert. Diese Personen handeln oft übertrieben und zeigen die spezifischen Eigenschaften in einer extremen Form. Normalerweise erscheinen Schattenpersonen als Menschen, die sich völlig gegensätzlich zum Träumenden verhalten.
So träumen äußerst friedfertige Menschen oft von aggressiven Schatten, während Menschen, die sich in einer Ellenbogengesellschaft behaupten, von friedlichen und harmonischen Schattenwesen träumen. Ebenso kann das Schattenwesen eine extremere Version des Träumenden selbst sein. Zeigt er aggressives Verhalten, kann der Schatten sich als besonders aggressives Wesen präsentieren. Solche Träume nehmen häufig die Form von Albträumen an.
In beiden Fällen zeigt sich jedoch dasselbe Prinzip. Die extreme Traumaggression eines tendenziell aggressiven Menschen kann darauf hinweisen, dass man versuchen sollte, mehr Gelassenheit zu bewahren und nicht von der Aggression dominiert zu werden. Hier zeigt die Aggression selbst, dass sie andere Persönlichkeitsmerkmale beherrscht und unterdrückt. Träumt hingegen der friedfertige Mensch von einer aggressiven Schattenperson, enthält dies meist die Botschaft des Unterbewusstseins, sich auch einmal durchzusetzen und diese wilde Seite zuzulassen.
Ähnliches gilt für andere Darstellungsformen von Schattenwesen. Nimmt der Schatten die Form eines Ungeheuers oder einer Bestie an, dann verdeutlicht dies die unterdrückte Wildheit. Erscheint der Schatten als göttliches Wesen, steht er wahrscheinlich für Charaktereigenschaften, die mit Ausgeglichenheit und Friedfertigkeit verbunden sind.
Schatten als Orte oder Situationen
Der Schatten muss nicht immer zwangsläufig als eine Schattengestalt erscheinen. Das kollektive Unterbewusstsein kann den Schatten ebenso in der Form von Situationen oder Räumen / Gebäuden darstellen. Meist sind dies Orte oder Situationen, die von Menschen abgelehnt werden oder vor denen sie sich fürchten.
Ein solcher Traum könnte ein Traum von einer Gefängniszelle sein. Diese möchten die wenigsten Menschen von innen betrachten und stehen im Traum für ein Gefühl des Eingeschlossenseins oder Gefangenseins. Der Träumende wünscht sich möglicherweise, sich aus einer emotionalen Lage zu befreien. Er sollte mutiger handeln und versuchen, seine Ängste zu überwinden. Solche Träume werden oft durch ein geringes Selbstwertgefühl ausgelöst und treten bei psychisch kranken Menschen vermehrt auf. Auch Fallträume können typische Schattenträume sein.
Ähnlich ist es mit peinlichen Situationen, wie sie zum Beispiel in klassischen Nacktheitsträumen vorkommen. Der Träumende befindet sich, im Gegensatz zur Nacktheit in erotischen Träumen, in einer öffentlichen Situation, in der er völlig nackt ist, was natürlich von den anderen Traumpersonen nicht unbemerkt bleibt. Solche Szenarien werden meist als äußerst peinlich empfunden und deuten im Schattentraum häufig auf ein unzufriedenes Körpergefühl hin. Es erzählt auch von der Angst, bloßgestellt zu werden oder das Unvermögen, Kontrolle über eine Situation zu haben.