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Traumyoga ist eine uralte tibetische Praxis aus der Tradition des buddhistischen Vajrayana. Es zielt darauf ab, zur Erleuchtung und zum Eintritt ins Nirwana beizutragen. Dies soll erreicht werden, indem der Praktizierende auch im Traumschlaf einen wachen Bewusstseinszustand beibehält. So soll er bewusst luzide Träume erleben, wodurch er die wahre Natur des Geistes erkennen kann.
Die Traumdeutung im herkömmlichen Sinn ist kein erklärtes Ziel des Traumyoga. Es geht nicht darum, Traumsymbole zu entdecken, um daraus Erkenntnisse über das eigene Seelenleben zu gewinnen. Im buddhistischen Traumyoga steht die Erkenntnis des Geistes im Vordergrund. Ziel dieser Praxis ist es, den normalen Bewusstseinszustand auch in unbewussten Traumphasen zu bewahren, um wahre Einsicht über die Phänomene des Traums zu erlangen. Der bewusst erlebte Klartraum soll zudem genutzt werden, um spezifische Meditationspraktiken (Schlafyoga) auszuführen, da die körperlichen Begrenzungen im Traumschlaf wegfallen.
Man muss nicht an die Philosophie des Buddhismus glauben, um die Techniken des Traumyoga zu nutzen, wenn man luzides Träumen erlernen möchte. Es wird jedoch stets empfohlen, sich intensiv mit den Hintergründen der Übungen und Begrifflichkeiten auseinanderzusetzen. Die buddhistische Meditation trägt allgemein zur Entspannung bei und wirkt sich auch bei nichtgläubigen Praktizierenden positiv aus, indem sie allgemein ausgeglichener, ruhiger und weniger gestresst sind. Diese körperlichen und geistigen Zustände erhöhen erheblich die Wahrscheinlichkeit, einen Klartraum zu erleben.
Träume in der Traumpraxis des Traumyoga
In der Traumpraxis des Traumyoga werden drei unterschiedliche Traumarten unterschieden: die gewöhnlichen samsarischen Träume, die Klarheits-Träume und die Klares-Licht-Träume. Die ersten beiden Traumarten können sowohl als luzide als auch nicht-luzide Träume auftreten. Im Gegensatz dazu sind Klares-Licht-Träume immer von luzider Beschaffenheit.
Samsarische Träume
Samsarische Träume sind im Wesentlichen karmische Träume. Sie ähneln typischen Träumen, wie jeder sie kennt. Diese Träume vermitteln dem Träumenden keine spezifische Botschaft, sondern erhalten erst durch die spätere Interpretation des Träumenden eine Bedeutung. Die Bedeutung eines solchen Traums ist daher eine zutiefst persönliche Interpretation, vergleichbar mit jemandem, der ein Zitat liest und dadurch eine tiefgreifende Einsicht gewinnt. Dasselbe Zitat mag für viele andere Menschen hingegen keinerlei Bedeutung besitzen.
Klarheits-Träume
Klarheits-Träume ähneln in ihrer Erscheinung den gewöhnlichen samsarischen Träumen und treten immer häufiger auf, je weiter man in der Traum-Praxis voranschreitet. Dies liegt einerseits daran, dass der Praktizierende zunehmend seine Trauminhalte erinnert und bewusster wahrnimmt. Andererseits hängt das Auftreten von Klarheits-Träumen auch mit der spirituellen Entwicklung zusammen, die durch das Traumyoga gefördert wird.
Der große Unterschied zwischen samsarischen Träumen und Klarheits-Träumen besteht darin, dass der Praktizierende in der Lage ist, Klarheits-Träume aus einer unpersönlichen Perspektive zu betrachten. Er erkennt, dass diese Träume nichts mit den karmischen Spuren samsarischer Träume zu tun haben. Sie entspringen einer tieferen geistigen Ebene und sind nicht von persönlichen Erfahrungen oder Emotionen beeinflusst. Klarheits-Träume vermitteln Wissen über die tieferen Schichten des Ich. Ihre Natur ist reiner als die samsarischer Träume, da sie nicht von Gefühlen und Erfahrungen geprägt sind. Im Klarheits-Traum findet noch keine Art von Verschmelzung mit dem wahren Kern des eigenen Geistes statt. Klarheits-Träume sind dualistische Träume. Obwohl die Erkenntnis, dass es sich um die Erscheinung des Geistes handelt, in der sich mehr offenbart, als der Trauminhalt zeigt, eine neue Ebene der Traumbetrachtung ermöglicht, bleiben Traum und Träumender zwei voneinander getrennte Entitäten.
Klares-Licht-Träume
Klares-Licht-Träume zu erzeugen oder einfach nur zu erleben, gilt als die höchste Kunst im Traumyoga. Selbst für jene, die regelmäßig und intensiv Traumyoga betreiben, kann es oft Jahre dauern, bis sie tatsächlich einen Klares-Licht-Traum erfahren. Diese Art von Traum ähnelt dem Klarheits-Traum, geht jedoch darüber hinaus.
Im Klarheits-Traum offenbart sich eine tiefe und verborgene Ebene des Geistes, wobei der Träumende, auch wenn es möglichst objektiv geschieht, eine beobachtende Rolle einnimmt. Es gibt daher immer noch einen Dualismus, eine Trennung zwischen dem Traum und dem Träumenden. In einem Klares-Licht-Traum fehlt dieser Dualismus. Erlebtes und Erlebender verschmelzen zu einer Einheit.
Der Inhalt des Traums ist eigentlich nicht mehr von Bedeutung, da es kein Traum-Ich gibt, das sich auf den Inhalt beziehen könnte. Der Träumende überlässt sich vollständig dem geistigen Geschehen und taucht somit komplett in den Geist ein, um mit ihm zu verschmelzen.
Die Traumpraxis des Traumyoga
Die Traumpraxis des Traumyoga umfasst verschiedene Praktiken und Übungen, die schrittweise zu den gewünschten Klarträumen führen sollen. Sie zielt darauf ab, den Geist und die Wahrnehmung zu erweitern und wird hauptsächlich im Wachzustand praktiziert.
Nur wer im Einklang mit sich selbst ist und das dualistische Verhältnis zwischen Geist und Körper, zwischen Aktion, Emotion und Reaktion wirklich verstanden hat, kann bewusst Klares-Licht-Träume erleben. Die Übungen der Traumpraxis ähneln anderen Methoden zur Erlernung luziden Träumens.
Zunächst wird die mentale Bewusstheit geschärft, die sich sowohl auf das Erleben im Traum als auch im Wachzustand auswirkt. Dadurch wird der Grundstein für bewusste Reaktionen auf tägliche und nächtliche Erfahrungen gelegt, um Verständnis und Kontrolle darüber zu entwickeln. Die verschiedenen Übungen und Praktiken sind miteinander verflochten und beeinflussen sich gegenseitig, weshalb es wichtig ist, alle Praktiken über einen längeren Zeitraum hinweg zu praktizieren.
Zhine – Die Praxis des Ruhigen Verweilens
Zhine ist die Grundlage für inneren Frieden. Diese Praxis des Ruhigen Verweilens zielt darauf ab, geistige Präsenz und Bewusstheit zu stärken. Ziel ist es, dass der Praktizierende lernt, sich nicht mehr von emotionalen Reaktionen leiten zu lassen, da diese oft negative Gefühle hervorrufen, die den Geist auch nachts nicht zur Ruhe kommen lassen. Durch Zhine entwickelt sich geistige Klarheit, Reinheit und Entspanntheit. Der Praktizierende kann bisher unerreichte Stadien der Besonnenheit und inneren Ruhe erleben, wodurch er eine neue bewusste Ebene seiner geistigen Sammlungskraft erreichen kann.
Die Fünf-Punkte-Meditationshaltung für die Praxis des Zhine
Für die Praxis des Ruhigen Verweilens nimmt man die klassische Fünf-Punkte-Meditationshaltung ein. Man setzt sich hin und kreuzt die Beine so, dass die Füße in der Nähe der Kniekehle des jeweils anderen Beines liegen. Die Hände legt man mit den Handflächen nach oben in den Schoß. Der Rücken sollte möglichst gerade gehalten werden, jedoch nicht verkrampfen.
Auch der Hals sollte so gerade wie möglich sein. Um dies zu gewährleisten, zieht man das Kinn ein wenig nach hinten. Die Augen bleiben leicht geöffnet. Man sollte sie so weit schließen, dass die Haltung entspannt ist und keine Aufmerksamkeit auf die Stellung der Augenlider gelenkt werden muss. In dieser Haltung werden die Praktiken ausgeführt. Ziel ist die Konzentration auf den Geist und die Stärkung der Sammlungskraft.
Zhine – Nachdrückliches Zhine
Die erste Stufe dieser Traumpraxis ist das Nachdrückliche Zhine. Der Name rührt daher, dass diese erste Stufe einigen Nachdruck seitens des Praktizierenden erfordert. Die Sammlung der geistigen Kräfte muss zunächst eingeübt werden und fällt besonders Anfängern oft recht schwer. Aus diesem Grund wird zunächst nicht der reine Geist, sondern ein Gegenstand fixiert.
Ein solcher Gegenstand kann alles Mögliche sein. Wichtig ist, dass er für den Praktizierenden eine besondere Bedeutung hat, die er mit Ruhe und Frieden assoziiert. Es könnte ein religiöses Symbol sein, ein bestimmter Buchstabe einer fremden Schrift (das tibetische A wird sehr oft verwendet) oder ein beruhigendes Bild. Dieser Gegenstand wird so platziert, dass er in der Meditationshaltung etwa 50 Zentimeter vom Meditierenden entfernt ist. Auch die Höhe des Gegenstands ist wichtig. Um jegliche Anstrengung zu vermeiden, soll sich das Objekt genau auf Augenhöhe befinden. Man sollte es direkt ansehen können, ohne die Augen bewegen zu müssen.
Nun nimmt man die Fünf-Punkte-Meditationshaltung ein und fixiert den ausgewählten Gegenstand in einem Zustand vollkommener körperlicher Ruhe. Die Atmung soll gleichmäßig und ruhig sein, alles um einen herum wird ausgeblendet. Selbst Schluckreflexen sollte man nicht nachgeben. Auch wenn diese Übung unglaublich einfach klingen mag, ist sie für Anfänger oft enorm schwer zu bewältigen.
Die automatischen Reaktionen auf äußere Einflüsse, seien es Geräusche oder körperliche Faktoren, wie ein Jucken in der Nase, sorgen dafür, dass die Fixierung auf den Gegenstand zu Anfang ständig unterbrochen wird. Diese Ablenkbarkeit legt sich allerdings mit der Zeit. Die Phasen der Konzentration und der Sammlung werden nach und nach länger und länger.
Es ist wichtig, in diesem Zustand jede Art von Gedanken zu vermeiden. Die Übung zielt auf die Fokussierung auf das Geistige und die Wahrnehmung ab. So ist auch der Gegenstand nur ein Hilfsmittel. Er ist nicht das Thema der Sammlung. Seine Funktion ist lediglich, einen beruhigenden Punkt darzustellen, auf den sich der Praktizierende fixieren kann, um sich von der Beeinflussung durch äußere Reize zu befreien. Das Objekt der Sammlung ist die Wahrnehmung des Gegenstands, nicht der Gegenstand selbst.
Zhine – Natürliches Zhine
Natürliches Zhine ist der zweite Schritt dieser Praxis. Mit ausreichender Übung wird sich ein Wahrnehmungszustand einstellen, in dem die geistige Sammlung keine Anstrengung mehr darstellt. Die angenehme Stille und Ruhe des Geistes stellt sich wie automatisch ein, die Ablenkbarkeit durch äußere Impulse nimmt immer mehr ab und selbst spontan auftretende Gedanken können die Meditation nicht mehr stören und werden einfach nicht mehr beachtet.
Hat man diesen Zustand erreicht, kann man versuchen, sich von dem materiellen Gegenstand als Fixierungshilfe zu lösen. In diesem Stadium sollte es möglich sein, sich einfach auf den Raum oder die Leere zu fixieren. Es genügt, sich einen beliebigen Punkt im Raum als Fixpunkt zu suchen. Hier ist kein bestimmter stofflicher Punkt gemeint, sondern einfach ein Punkt im dreidimensionalen Raum, irgendwo in der Luft.
Von dort aus kann man nun seinen Geist schweifen lassen. Er geht quasi im Raum auf. Die Sammlung bezieht sich nur noch auf die Wahrnehmung, die Kraft und die Ruhe des Geistes. Wenn sich der Praktizierende endgültig von gegenständlicher Fixierung gelöst hat, kann er in die dritte Phase der Praxis des Ruhigen Verweilens eintreten.
Zhine – Höchstes Zhine
Diese höchste Stufe des Zhine ist geprägt von Stille und Einheit zwischen dem Praktizierenden und seinem Geist. Die Ruhe umschließt den Geist, störende Gedanken und äußere Impulse werden ohne jede Schwierigkeit verdrängt und ausgesperrt. Es gibt jetzt nur noch den Meditierenden, der sich in einem Zustand befindet, der ihm Zugang zur wahren Natur des Geistes gewährt und ihm ermöglicht, zwischen dem nachdenklichen und der tiefen, natürlich-reinen Natur seines Geistes zu unterscheiden und darüber nachzudenken.
Die Vier Vorbereitungen für die Traumpraxis des Traumyoga
Der Begriff „Vier Vorbereitungen“ kann leicht missverstanden werden. Er lässt vermuten, dass diese Vorbereitungen nur vor dem Beginn der Traumpraxis des Traumyoga nötig sind und danach irrelevant werden. In Wirklichkeit sind sie regelmäßige Übungen im Alltag, die die Praxis kontinuierlich fördern. Diese Vorbereitungen dienen dazu, den Geist und die Wahrnehmung in der Wachwelt zu verfeinern. Die Sinne, die im Wachzustand geschärft werden, sind die gleichen, mit denen wir die Traumwelt erleben. Daher beeinflussen die Verbesserungen der Wahrnehmung im Wachzustand auch unsere Wahrnehmung in Träumen.
Das Leben als Traum begreifen
Die erste Vorbereitung hat das Ziel, sich die Natur des Geistes und der Träume bewusst zu machen, was im Wachzustand eine Art von Luzidität erzeugt, die der eines Klartraums ähnelt. Wenn dieser Geisteszustand im Alltag erlangt wird, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von luziden Träumen in der Nacht. Diese Methode wird auch in vielen westlichen Regionen zur Herbeiführung luzider Träume genutzt.
Um diese Luzidität zu erreichen, muss der angehende Klarträumer die Natur seiner Erfahrungen genau verstehen. Die Erlebnisse in einem Klartraum unterscheiden sich nicht von denen im Wachzustand. Dies wird klarer, wenn er sich im Wachzustand vor Augen hält, dass er in einem Traum sein könnte. Oder noch eindringlicher: Dass er sich tatsächlich jederzeit in einem Traum befindet. Er sieht Traumbäume, trinkt Traumwasser, fährt mit der Traumbahn und kauft in einem Traumgeschäft ein.
Gleiches gilt auch für Emotionen und nichtkörperliche Erfahrungen. Er hat Traumgedanken, empfindet Traumfreude oder Traumaggression, sieht das Traumwetter und spürt Traumsehnsucht. Je länger der Praktizierende sich einredet, dass alle Erfahrungen qualitativ denjenigen während eines Traums entsprechen, desto leichter kommt er zu der Erkenntnis, dass eigentlich alles flüchtig und substanzlos ist.
Dass das Wort „substanzlos“ etwas nihilistisch klingt, liegt an der Bedeutung, die es in der westlichen Kultur hat. Im buddhistischen Kontext bedeutet es, dass die Erfahrungen, Eindrücke und Gefühle nicht greifbar sind. Alles, was wahrgenommen wird, ist die geistige Reaktion auf gewisse Reize und Eindrücke. Wie im Traum geht alles vorbei.
Im Verlauf des Trainings lernt man, den Sinn der (insbesondere negativen) emotionalen Reaktionen zu hinterfragen. Die Erkenntnis, dass alles flüchtig ist, bewirkt dann, dass man Dinge neutraler und gelassener betrachten kann. Man erkennt, dass Ärger, Wut und Hass keinen wirklichen Sinn haben und die eigene Seele aus dem Gleichgewicht bringen. Um die Wirkung dieser Vorbereitung zu überprüfen, sollte man sich regelmäßig selbst beobachten. Gelingt es, die Wahrnehmung noch vor der Reaktion darauf zu hinterfragen und die Reaktion besser zu steuern, befindet man sich auf dem richtigen Weg.
Sich von belastenden Emotionen befreien
Die zweite Vorbereitung baut auf der ersten auf. Während die erste Vorbereitung den Fokus auf den Moment der Wahrnehmung legt, konzentriert sich die zweite auf die Reaktion, die aus der Erfahrung und dem Eindruck hervorgeht. Dabei soll die Traumhaftigkeit der Reaktionen erkannt werden. Mit der Einsicht, dass negative Emotionen wie Hass, Neid, Abwehr, Angst oder Schrecken flüchtig und vergänglich sind, verlieren sie zunehmend ihren negativen Einfluss auf die Seele.
Durch die bewusste Wahrnehmung und Vergeistigung solcher Emotionen wird dem Praktizierenden klar, dass sie ausschließlich aus seinem Inneren stammen und nicht von der Außenwelt übertragen werden. Diese Erkenntnis führt zu größerer innerer Ruhe, da das Verständnis wächst, dass die oft lang anhaltenden negativen Effekte solcher Reaktionen keine wirkliche Substanz besitzen. Sie sind Erzeugnisse des Geistes. Durch gezielte Übungen kann der Geist so beeinflusst werden, dass er diese Reaktionen nicht mehr hervorbringt. Diese Einsicht verstärkt das Verständnis für und die Präsenz der geistigen Klarheit ungemein.
Die Traumhaftigkeit der Wahrnehmung verinnerlichen
Die dritte Vorbereitung zielt darauf ab, das Verständnis für die Traumhaftigkeit von Erlebnissen und Erinnerungen zu vertiefen. Vor dem Einschlafen sollte man sich an die Ereignisse, Eindrücke, Empfindungen und Reaktionen des Tages erinnern und sie als Erinnerungen an einen Traum betrachten. Es ist, als ob man sich an einen Traum erinnert, an etwas, das irgendwie unwirklich erscheint. Dadurch wird der Eindruck verstärkt, dass alles Erlebte immateriell ist. Diese bewusste Wahrnehmung als Traum soll den Traumzustand beeinflussen, denn wenn man vor dem Einschlafen alle Eindrücke bewusst als Traum wahrnimmt, kann man die Traumerfahrung viel leichter als solchen erkennen.
Willen und Erinnerungsvermögen stärken
Die vierte und letzte Vorbereitung besteht aus einer Übung, die mit dem Aufwachen beginnt. Sie zielt darauf ab, das Traumerinnerungsvermögen zu verbessern und den Willen zu stärken, die Übungen und Praktiken kontinuierlich fortzusetzen. Direkt nach dem Erwachen sollte man versuchen, sich an möglichst viele Details dessen zu erinnern, was man in der vergangenen Nacht erlebt hat. Diese bewusste Erinnerung an die Träume der letzten Nacht schärft das Gedächtnis. Mit der Zeit wird es einfacher, sich an immer mehr Details der Träume zu erinnern und sie auch während des Traums bewusster wahrzunehmen.
Ein Traumtagebuch zu führen, kann ebenfalls sehr hilfreich sein. Das schriftliche Festhalten der Traumerinnerungen sorgt dafür, dass man zunehmend verinnerlicht, dass Träume wertvoll sind und nicht nur bedeutungslose und vergessenswürdige nächtliche Phantasien. Wenn man keinen luziden Traum hatte, sollte dies als Motivation dienen, weiter zu üben, bis die ersten Klarträume erlebt werden. Hatte man tatsächlich einen luziden Traum, sollte man sich darüber freuen und das empfundene Glück nutzen, um in der kommenden Nacht erneut einen Klartraum erleben zu wollen.
Die Hauptpraxis des Traumyoga
Die Vorbereitungen und Übungen des Tages fließen nahtlos in die eigentliche Praxis des Traumyoga über. Tag- und Nachtpraxis beeinflussen sich gegenseitig, weshalb es entscheidend ist, nicht nur die eine oder die andere Form zu praktizieren. Der Erfolg stellt sich durch eine kontinuierliche und beständige Praxis ein. Erste Klartraumerfahrungen können schnell eintreten, doch es kann auch mehrere Wochen dauern, bis sie häufiger und regelmäßiger auftreten.
Die Hauptpraxis des Traumyoga besteht aus vier Einzelpraktiken, die nacheinander während der Nacht ausgeführt werden sollten. Jede Phase spricht einen anderen Aspekt des Träumens an. Die erste Phase widmet sich dem friedvollen Aspekt und dient der Entspannung des Bewusstseins. Die zweite Phase stärkt die Klarheit und Präsenz des Geistes. Phase Drei steht im Zeichen der Macht, wobei Macht hier für die Kontrolle über eigene Gedanken und Visionen steht. Die vierte Phase thematisiert Zorn und Raserei, wodurch der Praktizierende beim Abbau von Furcht und Ängsten unterstützt wird.
Für jede Phase ist eine Dauer von zwei Stunden vorgesehen, zwischen denen ein kurzes Erwachen stattfindet. Dieses Erwachen kann durch einen Wecker erzwungen werden, muss es jedoch nicht. Ein wesentlicher Aspekt des Traumyoga ist Entspannung. Von einem Wecker geweckt zu werden, kann eine natürliche Stressreaktion hervorrufen, die den Erfolg der nächsten Phase beeinträchtigen könnte.
Es ist daher ratsam, nach jedem Aufwachen eine neue Phase zu beginnen. Ob dies nach zwei, drei oder nur anderthalb Stunden geschieht, ist nicht von größter Bedeutung. Auch wenn die Anzahl der Aufwachphasen zu gering ist und nur zwei oder drei Übungen durchgeführt werden können, ist das nicht schlimm. In diesem Fall beginnt man in der folgenden Nacht von vorne.
Die Übungen des Traumyoga sprechen verschiedene Bereiche des Körpers und Geistes an. Jede Aktivität aktiviert spezifische Bereiche und beeinflusst verschiedene Kanäle spiritueller Energie. Man sollte keine Übung auslassen, sondern sie konsequent in der richtigen Reihenfolge ausführen. Erwacht man nach Phase Zwei am frühen Morgen, setzt man mit Phase Drei fort, nicht mit Vier.
1. Phase des Traumyoga: Entspannung durch Kanalisieren der Bewusstheit
Die Praxis der ersten Phase des Traumyoga beginnt mit der sogenannten Löwenhaltung. Dafür legt man sich im Bett auf die Seite, zieht die Beine an, um die Lage zu stabilisieren, und platziert die untere Hand unter die Wange. Der andere Arm ruht entspannt auf dem Oberkörper. Aufgrund der verschiedenen Energieströme ist es wichtig, dass Frauen auf der linken und Männer auf der rechten Seite liegen.
Wenn die Atmung tief und ruhig geworden ist, visualisiert man eine Lotosblüte im Kehl-Chakra, das sich im unteren Halsbereich befindet. Diese rote Lotosblüte hat vier Blätter, und in ihrer Mitte leuchtet ein helles tibetisches A. Auf den Blütenblättern sind im Uhrzeigersinn die tibetischen Buchstaben RA, LA, SHA und SA angeordnet. Der Fokus der Visualisierung liegt auf dem A. Nach tibetischer Überlieferung fördert die Konzentration auf diesen Teil des Kehl-Chakras friedvolle Träume.
2. Phase des Traumyoga: Steigerung der geistigen Klarheit
Die zweite Phase des Traumyoga wird ebenfalls in der Löwenhaltung praktiziert, wobei sich jetzt die Atemtechnik verändert. Der Übende atmet sanft ein und hält die Luft kurz an. Zwischenzeitlich wird der Beckenboden leicht angespannt. Es soll sich anfühlen, als sei die Luft unterhalb des Bauchnabels, von wo aus sie nach oben gezogen wird. Nach wenigen Augenblicken entspannt man den Beckenboden und atmet behutsam aus. Diese Atemtechnik soll den gesamten Körper entspannen und wird siebenmal in Folge ausgeführt. Danach kehrt man zur normalen ruhigen Atmung zurück.
In dieser Phase erfolgt die Visualisierung im Stirn-Chakra, das sich in der Mitte der Augenbrauen befindet, jedoch etwas höher und körperlich weiter innen. Es liegt im vordersten unteren Bereich des Gehirns. Visualisiert wird eine Kugel aus klarem, hellem Licht, das für Klarheit und Präsenz steht. Je länger man diese Kugel, auch Tigle genannt, visualisiert, desto mehr verschmilzt man mit ihr und steigert die eigene Klarheit.
Die genaue Art der Visualisierung des Tigle ist nebensächlich, solange es die Sinne anspricht. Ob die Lichtkugel optisch, akustisch, haptisch oder auf andere Weise wahrgenommen wird, ist für das Ziel, mit ihr zu verschmelzen, unerheblich. Durch das Verschmelzen mit der Lichterfahrung wird die Luzidität des Geistes verstärkt. Man kann buchstäblich sagen, dass der Geist erhellt wird.
3. Phase des Traumyoga: Präsenzsteigerung durch Macht und Sicherheit
Phase Drei wird in einer neuen Haltung durchgeführt und dient dazu, die Präsenz durch das Sammeln von Macht und Sicherheit zu stärken. Um die gewünschte Meditationshaltung einzunehmen, überkreuzt man leicht die Beine, legt sich auf den Rücken und bringt den Kopf in eine leicht erhöhte Position. Die Arme können auf den Bauch gelegt werden, müssen es aber nicht. Es ist wichtiger, dass man möglichst bequem liegt und nicht verspannt, als eine strikte Haltungsvorgabe einzuhalten.
In dieser Meditationshaltung nimmt man zunächst 21 tiefe und bewusste Atemzüge. Danach visualisiert man die tibetische Silbe HUNG im Herz-Chakra, welche in Schwarz leuchtet. Die intensive Visualisierung des HUNG mit dem Ziel der vollständigen Verschmelzung soll den Geist in einen Zustand der Schwerelosigkeit versetzen. Wenn alles Schwarze HUNG ist, werden Kraft und Macht kanalisiert. Diese Macht soll jedoch nicht erzwungen werden; es geht vielmehr darum, die in sich vorhandene Macht zu entdecken. Die Verschmelzung mit dem HUNG und das Entdecken dieser Macht gehen mit einem Gefühl der Sicherheit einher.
4. Phase des Traumyoga: Angst und Furcht überwinden
Die vierte und letzte Phase der Traumyoga-Praxis zielt darauf ab, dunkle Elemente des Geistes wie Angst und Furcht zu kanalisieren und dabei zu helfen, diese Emotionen zu besiegen. Es wird eine schwarz leuchtende Kugel, ein Tigle aus schwarzem Licht, visualisiert. Dieses Stadium ist dem geheimen Chakra zugeordnet, welches sich hinter den Genitalien befindet.
In dieser Phase spielt die Körperhaltung keine wesentliche Rolle. Es ist lediglich ratsam, eine möglichst bequeme und entspannte Position einzunehmen. Die Verbindung mit dem schwarzen Tigle kann durchaus lebhafte und beunruhigende Träume hervorrufen.
Mit fortschreitendem Training entwickeln sich die Eigenschaften der ersten drei Phasen – Stabilität, Klarheit und Macht – weiter. Diese stärken die Fähigkeit, die Angst vor der dunklen Seite des Geistes, die sich in intensiven und beängstigenden Träumen zeigen kann, zu überwinden. Das Verschmelzen mit dem schwarzen Licht führt zu einem Zustand tiefster mentaler Entspannung, der selbst durch negative Bilder und Emotionen nicht gestört wird. Diese innere Ruhe und Furchtlosigkeit sind entscheidend, um regelmäßig bewusst luzide Träume zu erleben.